Zentrum für Lese- und Rechtschreibtherapie
Dipl.-Psych. Heike Sobisch      Dipl.-Psych. Frank Wiehe


Was sind "besondere Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten" (LRS)?
Schülerinnen und Schüler, denen trotz angemessenen Unterrichts und durchschnittlicher geistiger Fähigkeiten der Erwerb der Schriftsprache nur unzureichend gelingt, werden vom Hessischen Kultusministerium als "Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechtschreiben" bezeichnet.
Auch in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) ist dieser Sachverhalt verzeichnet und trägt die Bezeichnung "Lese- und Rechtschreibstörung" oder "isolierte Rechtschreibstörung".
Andere Bezeichnungen sind Legasthenie oder Dyslexie.


Merkmale:
Beim Lesen treten beispielsweise - je nach Schulstufe - auf:
  • Schwierigkeiten, Buchstaben richtig zu benennen
  • geringe Genauigkeit und Geschwindigkeit beim Lesen
  • Erraten von Wörtern beim Lesen
  • Mängel beim Leseverständnis

    Beim Schreiben fällt die hohe Fehlerzahl auf - auch bei oft geübten Diktaten sowie beim Abschreiben von Texten. Dasselbe Wort wird oft auf unterschiedliche Weise falsch geschrieben. Insgesamt gibt es eine geringe Anzahl sicher richtig geschriebener Wörter. Häufig treten bei den Wörtern Fehler auf, bei denen sich die Schreibweise vom Klang des Wortes unterscheidet: zum Beispiel "schtehen" statt "stehen", "Stain" statt "Stein" oder "Becker" statt "Bäcker".

    Weitere mögliche Merkmale:
  • sehr langsames Schreiben
  • Verwechslung von ähnlich klingenden Buchstaben (b/p; d/t; g/k; "Galb" statt "Kalb")
  • Verwechslung von formähnlichen Buchstaben (b/d; p/q; "Kald" statt "Kalb")
  • Vertauschen der Reihenfolge von Buchstaben innerhalb eines Wortes ("Klab" statt "Kalb")

    Manchmal fallen Eltern oder Lehrer auch zunächst Veränderungen oder Auffälligkeiten im Verhalten der Kinder auf. Dies kann von deutlichem Vermeidungsverhalten gegenüber dem Lesen und Schreiben bis zu Angst vor der Schule, Bauchschmerzen, aggressivem Verhalten und Schuleschwänzen reichen. Schülerinnen und Schüler leiden sehr unter den schulischen Schwierigkeiten und reagieren mit Selbstwertproblematik, Versagensängsten bis zu depressiven Gefühlen. Oft ist die Beziehung zu den Eltern stark belastet.

    Besondere Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten können auch das Erlernen von Fremdsprachen beeinträchtigen und sich auf die Leistung in allen Fächern auswirken, die Lesen und Schreiben erfordern.


    Ursachen und begleitende Symptome
    Beim Erlernen des Lesens und Schreibens sind eine Vielzahl von Fähigkeiten und Prozessen beteiligt: das Sehen, das Hören, der Tastsinn und der Gleichgewichtssinn, die Motorik, die Verarbeitung von sinnlicher Wahrnehmung, die Kombination von sinnlicher Wahrnehmung und Motorik, das Sprechen, die Sprachwahrnehmung und -verarbeitung sowie motivationale und emotionale Faktoren. Entsprechend können die Ursachen für die Entstehung von Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten vielfältig sein, sind aber letztlich noch nicht geklärt.

    Als mögliche Ursachen wurde bisher eine Vielzahl dieser Fähigkeiten und auch anderer Faktoren untersucht (u. a. die visuelle und akustische Wahrnehmung und ihre Verabeitung, die Raum-Lage-Labilität - Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von rechts und links, oben und unten, die Linkshändigkeit, Sprechstörungen und sprachliche Entwicklungsverzögerungen und neurologische Verarbeitungsstörungen; Frage der Vererbung).
    Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind oft widersprüchlich.

    Einheitlich scheint die Meinung darüber zu sein, dass Schülerinnen und Schüler mit Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten Schwächen bei der lautlichen Analyse von Wörtern, bei der Lautdifferenzierung, der Lautsynthese und der Speicherung von Lauten haben. Diese Fähigkeiten nennt man phonologische Bewusstheit. Letztlich sagt dies nicht unbedingt etwas über die Ursachen von LRS aus, sondern kann auch als ein Symptom anzusehen sein. Diese Fähigkeit ist besonders am Anfang des Schriftspracherwerbs von Bedeutung: Die Zuordnung von Laut und Buchstabe wird gelernt und die lautliche Analyse von gesprochenen Wörtern ist für das Schreiben, die Synthese von Lauten für das (synthetische) Lesen wesentlich.

    In der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) der Weltgesundheits-organisation, dem Verzeichnis der Erkrankungen und ihrer diagnostischen Kriterien, wird LRS als "Lese- und Rechtschreibstörung" und als "isolierte Rechtschreibstörung" (bei durchschnittlicher Leseleistung) bezeichnet. Nach ihrer Auffassung haben Kinder mit einer Lese- und Rechtschreibstörung in ihrer Vorgeschichte häufig eine Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache. In anderen Fällen gab es keine Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung, jedoch werden Schwierigkeiten bei der Informationsverarbeitung akustischer Reize, wie zum Beispiel Defizite in der Lautunterscheidung bei Wörtern, beim Reimen und bei der akustischen Merkfähigkeit festgestellt. Darüber hinaus können auch Probleme bei der visuellen Informationsverarbeitung sowie Hyperaktivität und Impulsivität auftreten.


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